Die Kanonbildung

 

Unter Kanon (=Maßstab, Regel) der Heiligen Schriften versteht man die 45 Bücher des AT und die 27 Schriften des NT, die als einzelne und in ihrer Gesamtheit das authentische Zeugnis des Gotteswortes bilden, wie es sich in der Geschichte Israels und Jesu Christi ereignet hat und im Bekenntnis und Zeugnis des Gottesvolkes Israel sowie der Kirche Annahme gefunden hat.

 

Die frühe Kirche nahm nach reiflicher Überlegung auch die in der griechischen Bibelübersetzung (Septuaginta=LXX) stehenden Bücher in ihr Kanonverzeichnis auf und beschränkte sich nicht nur auf die hebräisch-jüdische Bibel.

 

In Exodus 24,9ff, als Mose auf den Berg Sinai stieg, heißt es:

Danach stiegen Mose, Aaron, Nadab, Abihu und die siebzig von den Ältesten Israels hinauf

10 und sie schauten den Gott Israels. Die Fläche unter seinen Füßen war wie mit blauem Edelstein ausgelegt und glänzte hell wie der Himmel selbst.
11 Gott streckte seine Hand nicht gegen die Vornehmen der Israeliten aus; sie durften Gott schauen und sie aßen und tranken.
12 Der HERR sprach zu Mose: Komm herauf zu mir auf den Berg und bleib hier! Ich will dir die Steintafeln übergeben, die Weisung und das Gebot, die ich darauf geschrieben habe, um sie zu unterweisen.
13 Da erhob sich Mose mit seinem Diener Josua. Mose stieg den Gottesberg hinauf.
14 Zu den Ältesten sagte er: Bleibt hier, bis wir zu euch zurückkehren; Aaron und Hur sind ja bei euch. Wer ein Anliegen hat, wende sich an sie.
15 Dann stieg Mose auf den Berg und die Wolke bedeckte den Berg.

 

[Ob es sich hierbei um die besagten Septuaginta handelt, vermag ich nicht zu sagen, aber da es besonders erwählte Personen sein müssen, halte ich es für sehr wahrscheinlich, dass es genau diese waren, die sich im spirituellen Umkreis Mose befanden, dem der Pentateuch zugeschrieben wird und mit dem sie auf den Berg Sinai gestiegen sind.]

 

Das Konzil von Trient (Sess.IV,8.April 1546: DH 1501-1505) hat sich nicht den Urteilen der Reformatoren und einiger Humanisten angeschlossen, sondern an den Entscheidungen der Katholischen Kirche des Altertums und an der "praxis ecclesiae" festgehalten. Das Konzil stellt ein genaues Verzeichnis der als kanonisch geltenden Bücher auf und erklärt:

 

"So folgt sie (die Kirche) dem Beispiel der rechtgläubigen Väter, wenn sie alle

Bücher des Alten und Neuen Bundes - denn der eine Gott ist ja der Urheber

von beiden - sowie auch die den Glauben und die Sitten betreffenden Über-

lieferungen mit gleicher frommer Bereitschaft und Ehrfurcht anerkennt und

verehrt (pari pietatis affectu ac reverentia), denn sie stammen ja aus dem

Munde Christi oder sind vom Heiligen Geist eingegeben, und sie sind in un-

unterbrochener Folge in der Katholischen Kirche bewahrt worden." (DH 1501)

 

Das I. Vatikanische Konzil erklärt dazu:

"Nicht deshalb fasst die Kirche diese Bücher als heilig und kanonisch auf,

weil sie etwa bloß durch menschliches Bemühen zusammengestellt und

dann durch ihre eigene Vollmacht anerkannt worden wären. Auch nicht

 nur deshalb, weil sie die Offenbarung ohne Irrtum enthalten, sondern

deshalb, weil sie, geschrieben auf Eingebung des Heiligen Geistes, Gott

zum Urheber haben und als solche der Kirche übergeben worden sind."

(DH 3006)

 

Klärungsprozess im 4. Jh. weitgehend abgeschlossen

 

Unter Ambrosius wurde der gnostische Dualismus, der von einem Rachegott im AT und einem Gott der Liebe im NT ausging, als Prinzip und Kriterium der Kanonbildung zurückgewiesen, nämlich mit seiner Formulierung, dass "Gott der Urheber der ganzen Schrift" sei (Ambrosius, ep.8,10; vgl. Statua ecclesiae Antiqua: DH 325).

 

Bereits im 39. Osterfestbrief des hl. Athanasius (367) haben wir erstmals die Zusammen- Stellung der 27 neutestamentlichen Schriften - nicht mehr und nicht weniger.

 

Einige Synoden, wie die von Rom unter Papst Damasus I. 382 (DH 179f.), Hippo Regius 393, Karthago 397 u. 419 (DH 186), bestätigen die Entwicklung ebenso wie auch das II. Konzil von Konstantinopel, ein Brief Innozenz I. (DH 213), das Decretum Gelasianum (DH 353f.) und das Trullanum 682. Das Unionskonzil von Florenz erinnert im Dekret für die Jakobiten (1442) an diese Entscheidungen (DH 1335). Das Konzil von Trient (1546) bedroht denjenigen mit dem Anathem, der "eben diese ganzen Bücher mit allen ihren Teilen, wie sie in der Katholischen Kirche gelesen werden, ... nicht als heilig und kanonisch anerkannt und wer bewusst und mit Bedacht die Überlieferungen, von denen die Rede war, verachtet ..." (DH 1504).

 

 (Zusammengestellt aus: G.L. Müller, Katholische Dogmatik.)